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(GER) Mein Weg zum Freiberufler

(GER) Mein Weg zum Freiberufler

·1793 words·9 mins·
my experience
Table of Contents
Alle Angaben ohne Gewähr! Der Artikel ist kein Ersatz für adäquate Beratungsdienstleistungen von Steuerberatern, Finanz- und Versicherungsberatern, etc. und spiegelt ausschließlich meine Erfahrung und Meinung wider.

Meine Motivation
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Warum wollte ich mich überhaupt als Freiberufler neu versuchen obwohl ich in einem guten Angestelltenverhältnis war?

Nun, zum einem bin ich ein freiheitsliebender Mensch. Ich möchte gerne frei sein in meinen Arbeitszeiten. Natürlich ist mir bewusst, dass es hier auch Einschränkungen gibt, da ich in der Regel in einem Team arbeiten werde und mich an deren Arbeitszeiten orientieren muss. Nichtsdestotrotz möchte ich für mich gern entscheiden können ob ich z. B. an einem Tag zwölf Stunden leisten möchte oder unter der Woche einen Tag zur persönlichen Entwicklung nutze und die Arbeit dafür am Sonntag reinhole. Freiheit bedeutet für mich auch selbst entscheiden zu können in welchem Umfeld und mit welchen Technologien ich arbeite. Diese beiden Punkte sind auch für meine Kunden von Vorteil. Durch flexible Arbeitszeiten und Projekte für die ich “brenne” erhöht sich meine Performance und mein Output ungemein.

Für mich ist Lernen und Erfahrungen sammeln wie Treibstoff, etwas das mich antreibt. Durch meine freiberufliche Tätigkeit werde ich für mich sehr neue Aspekte lernen wie der Umgang mit Steuern, Rücklagen und Buchhaltung, Marketing, Projektvereinbarungen und mehr. Selbstverständlich soll die fachliche Weiterentwicklung nicht zu kurz kommen. Dies ist allerdings kein Merkmal der Selbstständigkeit da diese Möglichkeit auch als Angestellter bestehen kann.

Ein anderer Aspekt meiner Motivation gestaltet sich schwerer zu erläutern. Ich möchte die gern “totale Eigenverantwortlichkeit” erleben. Es gibt keinen Vorgesetzten, der mir die Verantwortung für meinen Einsatz abnimmt. Andererseits habe ich meine Performance weitestgehend in meiner Hand und es liegt an mir welche Leistung ich wann erbringe. Auch hier gelten selbstverständlich wieder die Rahmenbedingungen des Projekts und des Kunden.

Vorüberlegungen und häufige Bedenken
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Wenn man seine Überlegungen, sich als Freiberufler selbstständig zu machen teilt, kann es vorkommen das einem Bedenken entgegenschlagen oder man hat diese Bedenken auch selbst schon. Ich möchte hier auf solche Bedenken eingehen und wie ich diese für mich “entschärft” habe.

Zum besseren Verständnis, meine privaten Umstände haben diesen Beschluss erleichtert. So war ich zu dieser Zeit ungebunden und hatte wenig finanzielle Verpflichtungen sowie ein kleines finanzielles Polster um mehrere Monate ohne Einkommen überstehen zu können. Außerdem wollte ich bereits ein erstes Projekt “in der Tasche haben” bevor ich überhaupt diesen Schritt wage.

Der Einsatz ist zu hoch
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Sich als Freiberufler, insbesondere in der IT Branche, selbstständig zu machen erfordert so gut wie kein Startkapital. Man muss keine Kosten für die Gründung veranschlagen und auch keine Notarkosten oder kostspielige Geräte beschaffen. Je nach Kundenprojekt bekommt man sogar ein Notebook gestellt. Trotzdem sollte man die “versteckten” Kosten nicht unterschätzen. So kann es erforderlich sein das verschiedene Versicherungen angepasst oder neu abgeschlossen werden müssen (siehe Versicherungen). Des Weiteren können Kosten für Marketing (Homepage, Visitenkarten, etc.) und “Infrastruktur” wie Steuerberater, Buchhaltungssoftware, etc. hinzukommen. Man sollte auf jeden Fall bei den Zahlungsmodalitäten ein Auge auf Fristen haben. So kann es vorkommen das man in den ersten beiden Monaten keinen Umsatz hat da eine Zahlungsmodalität z. B. sein kann: 30 Tage ab Stundenerfassung, also die Erfassung am Anfang des zu bezahlenden Folgemonats und die tatsächliche Bezahlung im zweiten Folgemonat. Auch wenn der Einsatz nicht hoch ist ist es nie verkehrt, wenn man ein paar Monate ohne Einkommen über die Runden kommen kann.

Das Risiko ist zu hoch
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Mal angenommen es tritt der, in unserer Branche, unwahrscheinliche Fall ein und man findet keine Projekte oder man verkalkuliert sich. Das ist bedauerlich aber noch lange kein Beinbruch. Man kann seine Zelte fast ebenso schnell wie man sie aufgebaut hat auch wieder abbauen und ein Angestelltenverhältnis zurückkehren. Was bleibt ist nicht die Schmach des Misserfolgs, sondern die Gewissheit diesen Schritt gegangen zu sein und wertvolle Erfahrungen gesammelt zu haben!

Keine Arbeit
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Auch hier gilt wiederum das zum Zeitpunkt meiner beruflichen Selbstständigkeit Anfang 2019 die Nachfrage an Fachkräften enorm zugunsten der Arbeitnehmer bzw. Freiberufler lag. Trotzdem gilt auch hier wie bereits vorher erwähnt: Der Schritt zurück in ein Angestelltenverhältnis ist nicht allzu kompliziert und keine Schande. Insbesondere wenn man seinen Auftritt pflegt wird man regelmäßig kontaktiert. Auch ein Old School Netzwerk an Kollegen und Freunden in der Branche ist nützlich.

“Selbst” + “Ständig”
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Mit dieser falschen Floskel kann man öfter konfrontiert werden. Da man keine Produktion oder ähnliches am Laufen halten muss ist man ziemlich frei wie viel “ständig” man haben will. Man muss als Freiberufler nicht 40 h oder mehr die Woche leisten. In Absprache mit den Kunden kann man sich auch auf einen geringeren Umfang einigen und den Rest der Zeit Freizeit haben. Natürlich sollte man das finanzielle dagegen rechnen, aber prinzipiell würde nichts gegen eine 20 h Woche sprechen.

Verdienstausfall
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Aber wenn man krank ist kommt kein Geld rein!

Das stimmt erst mal. Hier gilt es genügend Rücklagen aufzubauen oder schon mitzubringen, um einen Verdienstausfall von einigen Wochen oder Monaten überbrücken zu können. Außerdem rechne ich in meinem Alter nicht mit größeren Ausfällen. Natürlich kann immer etwas passieren, aber soll man sich davon wirklich abschrecken lassen…?

Scheinselbstständigkeit + RV-Pflicht
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Die Scheinselbstständigkeit und Rentenversicherung ist ein heißes Thema und ich möchte hier bewusst nicht näher drauf eingehen. Wenn man bestimmte Dinge beachtet kommt man aber auch hier gut zu Recht. Hier findet man einen guten ersten Überblick über das Thema. Zur RV-Pflicht sollte man die 5/6 Grenze an Umsatz durch einen Kunden auf dem Radar haben.

Die Selbstständigkeit
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Hier möchte ich meine Schritte und Erfahrungen auf den Weg zur Selbstständigkeit schildern.

Erster Auftrag
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Eine persönliche Präferenz die man auch anders sehen kann. Ich wollte den Start in die Selbstständigkeit erst wagen sofern ein erster Auftrag schon greifbar ist :)

Steuerberater
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Mein erster Termin war mit dem Steuerberater meines Vertrauens. Dieser gab mir einen Crash-Kurs in Sachen Steuern und Buchhaltung und hat mit mir zusammen den Fragebogen zur steuerlichen Erfassung ausgefüllt. Dieser Fragebogen geht an das Finanzamt und läutet den Start in die Selbstständigkeit ein. Zurück bekommt man eine Steuernummer und optional eine Ust.-Id welche man bei der Gelegenheit in einem Rutsch beantragen sollte. Diese wird für Tätigkeiten im Ausland benötigt, aber es schadet nicht eine zu haben, wenn man im Moment keine Tätigkeiten im Ausland anstrebt.

Mehr ist formal nicht nötig und man kann mit dem Business loslegen :) Zu beachten gilt hier, dass je nach Finanzamt die Bearbeitungszeit etwas länger ausfallen kann. Wir sprechen hier definitiv von Wochen im Normalfall! Natürlich muss man ein paar Dinge im Laufe seines Schaffens beachten aber fürs Erste war es das mit den formalen Hürden!

Versicherungen
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Bei mir musste der Rechtsschutz, welcher bis dahin nur private Angelegenheiten abgesichert hat, angepasst werden. Diesen musste ich auf einen gewerblichen Rechtsschutz erweitern. Des Weiteren wäre eine Aufstockung einer Berufsunfähigkeitsversicherung bei einem erwarteten Gehaltssprung überlegenswert. Außerdem habe ich eine Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen. Da ich als Freiberufler mit meinem geschäftlichen und privaten Vermögen hafte ist dies meiner Meinung nach unerlässlich.

Marketing
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Der Online Aufritt muss poliert werden oder sofern noch nicht vorhanden schleunigst erstellt werden. Zum Onlineauftritt zählen die Homepage, Portale wie Xing und Linkedin oder auf Freiberufler spezialisierte Dienstleister wie Hays und Gulp. Selbstverständlich gehört hier auch ein gepflegter Lebenslauf dazu. Eine Visitenkarte besitze ich (noch) nicht. Diese steht aber auch noch auf der ToDo Liste. Auch Mundpropaganda im Bekannten und ehemaligen Kollegenkreis ist nicht zu unterschätzen.

Infrastruktur
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Hierzu zähle ich primär die Buchhaltung. Diese soll für mich so bequem wie möglich sein und nutze deshalb auch ohne zu zögern einen kostenpflichtigen Service, um sauber und mit wenig Fehlerquellen agieren zu können. Ich habe mich für ein separates geschäftliches Konto entschieden um hier klar abgrenzen zu können. Außerdem sind viele private Konten nicht für eine geschäftliches Nutzung gedacht und man kann Ärger mit der Bank bekommen! Ich habe mich für ein Konto bei Kontist entschieden da es speziell für Selbstständige gemacht wurde und eine Reihe von automatisierten Features bietet. Kontist bietet ein normales “deutsches Konto”, das unter die Einlagensicherung fällt, und die Option einer realen Kreditkarte. Eine angenehme Überraschung war die Eröffnung des Kontos und generell die Handhabung. Alles läuft primär oder sogar ausschließlich über die mobile App ab.

Außerdem kann Kontist mit anderen Services verknüpft werden, darunter auch lexoffice. Damit wickele ich meine Buchhaltung ab. Lexoffice bietet einen Zugang für den Steuerberater, der seinerseits damit sein DATEV befüllen kann. Dies erleichtert den Datenaustausch! Keine Ordner mehr zum Steuerberater ;) Des Weiteren stehen noch eine Vielzahl anderer Exportmöglichkeiten zur Verfügung. Ein weiterer Pluspunkt ist ein integrierter Scanner und Uploader für Belege der laut Hersteller die Anforderungen erfüllt, um die Originale danach vernichten zu können.

Außerdem habe ich auf meinem Server kimai eine Open Source Zeiterfassungsanwendung installiert. Damit tracke ich meine Arbeitszeiten meiner Tätigkeiten für Kunden. Auch hier stehen verschiedene Exportmöglichkeiten wie .xlsx und .csv zur Verfügung.

Being Remote
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Als Freiberufler passiert es häufiger, dass man einen hohen Anteil oder sogar ausschließlich von Remote arbeitet. Bei dieser Arbeitsweise muss man sich bewusst sein, dass man mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert werden kann. Diese sind stark davon abhängig wie mein seine Remote Tätigkeit gestaltet. Dazu gleich mehr. Die folgenden Punkte sind meiner Meinung nach die größten Herausforderungen einer remote Tätigkeit:

  1. Trennung von Arbeit und Privat
  2. Fehlende soziale Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen
  3. Disziplin und Struktur notwendig

Prinzipiell gibt es mindestens drei Möglichkeiten der Gestaltung einer Remote Tätigkeit.

Die Erste ist die Anmietung einer Bürofläche oder eines Coworking Space. Damit kann man sich einen Arbeitsplatz schaffen, welcher dem eines Angestellten schon recht nahe kommt und die beiden ersten Herausforderungen werden einfacher zu handhaben. Disziplin und Struktur ist nie verkehrt, aber viele Verlockungen sind bei einem physikalisch getrennten Arbeitsplatz nicht vorhanden. Je nach Entfernung kann hier allerdings das Pendeln negativ einschlagen.

Die zweite Möglichkeit ist ein getrenntes Arbeitszimmer. Dadurch kann noch eine Trennung gewährt werden. Soziale Kontakte in der Arbeitszeit sind hier aber in der Regel Mangelware. Man spart sich hier natürlich die Miet- und Pendlerkosten, benötigt aber eine entsprechende Immobilie, die so einen Raum hergibt. Natürlich sind die Verlockungen hier im Eigenheim höher.

Die letzte und minimalste Möglichkeit ist die Arbeit von zu Hause ohne entsprechenden Raum. Hier hat man die maximale Herausforderung aber auch die maximale Freiheit. Man sollte auch bei wenig Platz versuchen eine “Arbeitsecke” zu finden, um wenigsten den Anschein einer Trennung von beruflichem und privaten zu gewähren. Ich habe mit einem mobilen Laptoptisch wie diesem gute Erfahrungen gemacht.

Last but not least gibt es noch die Variante des modernen “travel worker”. Da in der IT Branche meist nur ein Laptop sowie eine Internetverbindung ausreicht kann man seinen Koffer packen und einen Trip, in dem man dann natürlich arbeitet. Gleichzeitig kommt man in den Genuss fremder Orte und Menschen.

Hier gibt es kein richtig oder gut da dies extrem auf den Charakter und auf die Arbeitsweise der Person ankommt.